Eine Klasse für alle

30. Okt 2024

In Dänemark bleiben alle Schülerinnen und Schüler bis und mit Oberstufe in ihrer Klasse zusammen, oft neun Jahre lang. Eine selektive Aufteilung gibt es nicht. Dadurch soll die soziale Ungleichheit vermindert werden, sagt die Theorie. In der Praxis ist der Unterricht eine Herausforderung. Dennoch geniesst das Modell grossen Rückhalt.

Bei der Vorbereitung und im Unterricht denkt Eva Møller «immer in drei Niveaus». Die Dänisch-Lehrerin braucht in der Oberstufe mehrere abgestufte Aufgabenstellungen, damit sie gleichzeitig die schulisch stärksten wie auch die schwächsten Jugendlichen unterrichten kann. Es ist das Prinzip der dänischen Einheitsschule: Bis zur 9. Klasse gibt es keine Aufteilung, nicht nach Niveaus, nicht in verschiedene Schulen, sondern alle bestreiten die Oberstufe gemeinsam. Erst danach erfolgt der Übertritt ins Gymnasium, in die Berufsschule oder die Lehre. Das Modell soll die Auswirkungen sozialer Unterschiede auf die Bildung verringern und die Chancengleichheit erhöhen – eine Haltung, die nicht nur alle skandinavischen Schulsysteme prägt, sondern die auch die Autoren der PISA Studien seit Jahrzehnten vertreten. Als Dänemark1993 die in drei Stufen gegliederte Oberstufe abschaffte und die Einheitsschule einführte, geschah dies mit grosser Zustimmung der Öffentlichkeit; seither hat das Modell Bestand. Doch wie funktioniert ein Unterricht ohne selektive Aufteilung?

In der dänischen Schule ist die innere Differenzierung nicht nur in der Primarschule, sondern auch in der Oberstufe zentral: ein Unterricht, der auf die unterschiedlichen Fähigkeiten aller Lernenden der Klasse eingeht. Das Ziel sei, ein Team zu bilden, in dem sich die Kinder ergänzten und voneinander lernten, sagt Møller, die seit 19 Jahren unterrichtet. «Die schulischen Unterschiede werden in der Oberstufe grösser, aber Unterrichtsdifferenzierung bis zur 9. Klasse ist durchaus möglich.»

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Text: Niels Anner 

Niels Anner ist freischaffender Journalist mit Sitz in Kopenhagen. Als Korrespondent berichtet der Schweizer für verschiedene Medien über Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft in den nordischen Ländern.