30. Okt 2024
Üben ist mit Anstrengung verbuden, in der Schule ebenso wie im Skatepark oder auf dem Tennisplatz. – Für ein gelingendes Leben scheint es aber unabdingbar. Welcher Stellenwert ist ihm heute noch beizumessen? Und was macht gutes Üben aus?
Text: Lukas Tschopp
Die 14-jährige Jaël brütet am Schreibtisch über einem Text des Schweizer Schriftstellers Franz Hohler. Eine Kurzgeschichte, zusammengebaut aus lauter Metaphern. Aus Sprachbildern also, in der die Begriffe nicht in wörtlicher, sondern in übertragener Bedeutung verwendet werden. «Der Wohlstand, der uns in den Schoss gefallen ist, ist ein zweischneidiges Schwert, das wir zwar mit offenen Armen empfangen haben, das sich aber immer mehr als Wolf im Schafspelz entpuppt», steht da geschrieben. Jaël versteht nur Bahnhof. Noch fehlt ihr die Übung, solche Metaphern zu verstehen. Und Übung macht bekanntlich die Meisterin.
«Das Einüben einer Fertigkeit beruht darauf, etwas nicht zu wissen oder nicht zu können. Dann gilt es, diese Fertigkeit wiederholend einzuüben, immer und immer wieder», definiert Malte Brinkmann die pädagogische Übung. Doch aufgepasst: «Jeder Übende, der sich verbessern will, fällt früher oder später einmal auf die Nase.» Dies spricht nicht gegen das übende Leben, im Gegenteil. Wer Erfolg hat, ist irgendwann auch gescheitert, hat zunächst einmal nur Bahnhof verstanden. Trotzdem attestiert Brinkmann, Professor für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, der Tugend des Übens gegenwärtig einen schweren Stand: «Vielerorts wird die Übung als stumpfsinnige Automatisierung und Disziplinierung schlechtgeredet und in die Ecke der schwarzen Pädagogik gestellt. Gefragt sind Kreativität und Spontaneität, nicht langwierige Anstrengung. Diese negative Sichtweise verkennt jedoch das riesige Potenzial des Übens.»
...