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03. Apr 2024

«AUS DEM KLASSENZIMMER», KOLUMNE VON ANNIC BERSET

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Ich finde es heutzutage so viel schwieriger als früher, den Jugendlichen ihr richtiges Alter anzusehen. Vergleiche ich die Teenager mit Fotos von mir im gleichen Alter – jesses, ein himmelweiter Unterschied! Von der Mode über die Frisur bis hin zu meinem noch rundlichen Babygesicht, das ich wohl bis zwanzig hatte. Würde ich einigen meiner Schülerinnen und Schüler auf der Strasse begegnen, ohne sie zu kennen, ich würde sie locker fünf Jahre älter schätzen. 

Auch den Jugendlichen ergeht es bei diesem Thema nicht anders. Sie nehmen zwar die vor ihnen stehenden Lehrpersonen Tag für Tag genauestens unter die Lupe, können sagen, wann sie neue Schuhe haben oder ihre Haare einen Farbton dunkler gefärbt sind, wann sie einen guten und wann sie einen schlechten Tag haben. Beim Alter hingegen hört ihr Wissen auf. Häufig unterscheiden die Schülerinnen und Schüler nämlich nur zwischen alt und jung. Dabei spielt eine entscheidende Rolle, wie lange sie einen schon kennen. Ist eine Lehrperson erst seit kurzem an der Schule, wird die neuere oft deutlich jünger eingeschätzt als die bisherige. 

Natürlich möchte man persönlich auch mal wissen: Wo ordnen mich meine Schülerinnen und Schüler eigentlich ein, noch bei den Jungen oder schon bei den Alten? Hat man diese Frage dann einmal in den Raum beziehungsweise in das Klassenzimmer geworfen, überlegt man sich bald wieder, ob das wirklich eine gute Idee gewesen ist. Die Altersspanne, mit der die Jugendlichen um sich werfen, lässt mich mehr als einmal grosse Augen machen. Sie reicht tatsächlich über zwanzig Jahre weit und weicht ungefähr sieben Jahre von meinem Alter nach unten ab – aber auch über zehn Jahre nach oben. Wenn die Jugendlichen nach einigen wilden Spekulationen mein richtiges Alter hören – 35 Jahre – überlegen sie kurz: Ja, was bin ich denn nun, alt oder jung? Ich glaube, ich kann mich glücklich schätzen, dass die gute Beziehung zwischen ihnen und mir genau in diesem Moment aufblitzt. Alt? Sie? Nein, ganz sicher nicht. Hätte man sie hingegen vorgängig gefragt, ob 35 Jahre, also 20 mehr als sie selbst es sind, denn alt bedeuteten, sie hätten garantiert mit Ja geantwortet.