07. Mär 2022
Seit Ende 2021 gilt das Projekt Lehrplan 21 Kanton Zürich als abgeschlossen. Co-Projektleiter Roland Fischer blickt auf eine intensive Zeit zurück. Von Iwan Raschle.
Zum Projektende lud die Zürcher Bildungsdirektion die Schulleitungen zu einer Tagung ein mit dem Titel «Lehrplan 21 – Impulse für unsere Schule» – fast sieben Jahre nach der Startveranstaltung im Januar 2015. Damals erläuterten Co-Projektleiterin Kathrin Schmocker und Co-Projektleiter Roland Fischer den Projektauftrag, die wichtigsten Meilensteine und die Aufgaben der Teilprojekte. Zur Mitarbeit im Projekt eingeladen waren insbesondere Lehrpersonen, Schulleiterinnen und Schulleiter, Vertreterinnen und Vertreter von Schulbehörden, der Pädagogischen Hochschule und des Zürcher Lehrmittelverlags. «Es war uns ein Anliegen, möglichst viele Beteiligte miteinzubeziehen», sagt Roland Fischer. Das sei zwar mit einem grossen zeitlichen Aufwand verbunden gewesen – und mit entsprechend höheren Kosten –, habe sich aber ganz klar gelohnt.
Klassische
Projektorganisation
Für
die Einführung des Lehrplans sei im Kanton Zürich eine klassische
Projektorganisation errichtet worden, erzählt Roland Fischer. «Wir bildeten
diverse Arbeitsgruppen, eine Begleitgruppe und eine Steuergruppe.» Zudem sei
dem Projekt eine Kommission des Bildungsrates beigestellt worden, in der sich
unter anderem auch Vertretungen der Eltern, der Wirtschaft und der
Sekundarstufe II hätten einbringen können – insgesamt mehr als 30 Personen.
«Wir nahmen sehr viele Leute mit ins Boot», räumt Roland Fischer ein, «aber dieser
Entscheid, das Projekt so breit abzustützen, war absolut richtig.»
Und er war sicher mitentscheidend für den erfolgreichen Abschluss des Projekts mit vielen zufriedenen Gesichtern – mitentscheidend wie die zentrale Botschaft an die Schulen: Der Lehrplan sei kein Gesetzbuch, sondern eher eine Art Kompass, und die Methodenfreiheit bestehe weiterhin. «Diese Vermischung von Bekanntem und Neuem, dieses Versprechen, dass Schulen und Lehrpersonen weiterhin eigene Schwerpunkte setzen können, das kam gut an», sagt Roland Fischer. Bei den Lehrpersonen habe sich aber ohnehin kaum jemand gegen den neuen Lehrplan gestellt, erinnert er sich. «Dort war die Diskussion bereits geführt geworden. Die Lehrerinnen und Lehrer hatten den Lehrplan 21 und die neue Kompetenzorientierung weitgehend akzeptiert.»
Stolpersteine lagen dem Projekt dennoch im Weg. Zum Beispiel die Volksinitiative «Lehrplan vors Volk». Vor der Abstimmung sei befürchtet worden, einige Parteien könnten gegen den Lehrplan Stimmung machen, erinnert sich Roland Fischer, «dann hätte es an der Urne knapp werden können». Das Befürchtete trat aber nicht ein. Die Initiative wurde nur von einer Partei unterstützt – und am 3. März 2018 schliesslich deutlich abgelehnt. Eine weitere Befürchtung: Die Lehrmittel stünden nicht rechtzeitig bereit. In den ersten Projektjahren mussten die Lehrpersonen teilweise mit provisorischen Überbrückungslösungen arbeiten. Das habe sich aber geändert, sagt Roland Fischer. «Heute stehen in allen Fachbereichen und Modulen Lehrmittel zur Verfügung, die auf den Lehrplan 21 abgestimmt sind.»
Kein
Widerstand gegen Lektionentafel
Während
des Gesprächs mit Roland Fischer wird die Dimension des Projekts deutlich. Arbeitsgruppen,
Begleitgruppe, Steuergruppe, die Kommission des Bildungsrates – und mittendrin
eine Co-Projektleiterin und ein Co-Projektleiter. «Es war ein Glücksfall für
uns, das Projekt zu zweit leiten zu können», sagt Roland Fischer. Allein die
zahlreichen Sitzungen wären für eine Einzelperson kaum zu bewältigen gewesen,
ihm sei aber vor allem der Austausch mit seiner Projektleitungskollegin wichtig
gewesen. «Es war sehr entlastend, Themen und Vorgehensweisen miteinander
besprechen zu können.»
Zu zweit lenkten Kathrin Schmocker und Roland Fischer das Projekt dem Ziel entgegen, stets darauf bedacht, alle Beteiligten im Boot zu behalten. Das gelang zwar nicht ganz, weil der Zürcher Lehrerinnen und Lehrerverband auf halbem Weg das Projekt verliess. Erwartete und befürchtete Widerstände auf breiter Front, etwa gegen die neue Lektionentafel, blieben hingegen aus. Anders als vor etwa 15 Jahren konnten dieses Mal die Lektionen in Handarbeit (Textiles und Technisches Gestalten) gekürzt werden. «Es war allen klar», sagt Roland Fischer, «dass die neuen, politisch breit unterstützten Lektionen für Medien und Informatik irgendwo untergebracht werden mussten und dass dies nicht ohne Kürzungen in anderen Bereichen gehen würde.»
Das Modul «Medien und Informatik» war für das Projekt auch im Bereich Weiterbildung eine Herausforderung. Noch zu Beginn der Umsetzung sei offen gewesen, welche Angebote zu diesem Modul bereitgestellt werden sollten, um die Lehrpersonen zu qualifizieren. «Die PH Zürich entwickelte dann einen Grundlagenkurs, und obschon das sehr rasch geschehen musste, lief die Weiterbildung in diesem Be
reich nach einigen Startschwierigkeiten schliesslich gut.» Schon heute – vor Abschluss des Kursangebots im Jahr 2023 – sei der Bedarf an Lehrpersonen, die Medien und Informatik unterrichten könnten, weitgehend gedeckt, betont Roland Fischer. Kritikerinnen und Kritikern, die den Kurs als Schmalspurausbildung schlechtreden, entgegnet er: «Mehr konnten wir nicht verantworten. Wir konnten das nicht einfach ‹durchdrücken›. Die Lehrpersonen haben noch andere Aufgaben, die sie erfüllen müssen.»
Achtsame
Projektsteuerung
Auch
hier ist sie wieder zu erkennen, diese Behutsamkeit und Vorsicht, mit der die
Umsetzung des Lehrplans 21 im Kanton Zürich vorangetrieben wurde. In einem
Bereich, der vielen Beteiligten wichtig war, führte diese achtsame
Projektsteuerung sogar zum Abbruch von zentralen Arbeiten in einem Teilprojekt.
«Wir wollten auch bei der Beurteilung einen grösseren Schritt weiterkommen»,
erinnert sich Roland Fischer. Aber dafür liess sich kein Konsens finden. «Als
Projektleitende mussten wir stets darauf achten, Massnahmen vorzuschlagen, die
auch wirklich eine Chance hatten, politisch Akzeptanz zu finden», betont
Roland Fischer. «Merkten wir, das Boot überladen zu haben, mussten wir
zurückrudern und das Ziel mit weniger Gepäck nochmals anfahren.»
Sind wir denn heute in der richtigen Richtung unterwegs, damit Kinder lernen, was sie in Zukunft benötigen werden? Roland Fischer bleibt der Metapher treu: «Der Lehrplan ist angebunden an den ‹Volksschultanker›. Dieser ist politisch unterwegs und aufgrund seiner Grösse nicht einfach zu steuern.» An Bord seien neben den Entscheidungsträgern auch alle Lehrpersonen und alle Fachdidaktikerinnen und Fachdidaktiker, die den Lehrplan entwickelten. Sie hätten im Lehrplan einen «State of the Art» davon abgebildet, was in der Schule vermittelt werden solle. «Das finde ich grundsätzlich gut», sagt Roland Fischer.
Auf die «future skills»-Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts angesprochen (Seite 24/25 dieser Ausgabe) meint er: «Unser Tanker ist langsam unterwegs und darf nicht überladen werden. Gewisse Neuerungen sind möglich, wie etwa Medien und Informatik, andere Frachten können so kurzfristig nicht an Bord genommen werden.» Das finde er aber auch gar nicht schlecht. Denn wir wüssten nicht mit Sicherheit, welche Kompetenzen in Zukunft wirklich stärker gefragt seien. Roland Fischer ist überzeugt: «Wir müssen für die Schule eine Balance finden zwischen Grundlagenwissen und anderen Skills wie Sozialkompetenz, Flexibilität und Kreativität.»